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Kinder brauchen Ziegenboecke
2011-05-17 @ 2:45 p.m.

Ein interessantes und in Deutschland fast unbekanntes Kleinkindermaerchen ist 'The three billygoats Gruff'. Das ist mir hier nur einmal in einer eher nischigen Waldorf-orientierten Sammlung begegnet, unter dem Titel 'Die drei Boeckchen Bruese'. In Amerika gehoert es zum Kanon. Sowohl 'Gruff' als auch 'Bruese' finde ich geniale Namen fuer diese drei Boecke.

Es handelt von drei gestaffelt grossen Ziegenboecken Gruff bzw. Bruese, die aus ihrem mageren Tal ueber eine Bruecke zu einem gruenen Huegel mit wohlschmeckendem Gras wollen. Nur lauert unter dieser Bruecke ein boeser und uebrigens auch haesslicher Troll.
Die Ziegenboecke ueberqueren nacheinander die Bruecke, jeder wird von dem Troll mit dem Tode bedroht und die beiden kleineren retten sich jeweils durch den Verweis auf den nachfolgenden groesseren. ('Friss mich nicht, das lohnt sich in keiner Weise, nach mir kommt einer, der viel groesser ist!') Der groesste Bock endlich ist so gross, dass er den Troll verkloppen kann. Das tut er gruendlich, und dann sind alle drei Boecke gluecklich und zufrieden auf dem gruenen Huegel.

Die oberflaechliche Moral geht hier maechtig in Richtung Adam Smith: Wenn jeder mit Macht an sich selber denkt, ist allen am besten geholfen. Hat man sonst in Kinderbuechern nicht so haeufig. Vielleicht sind sie ja in Amerika deshalb so wirtschaftsliberal.

Uebrigens ist es ja auch vollkommen unklar, was die Kinder eigentlich immer mit diesen boesen Trollen und Woelfen und so sollen. Solche extremen Gestalten kommen doch in ihren Leben ueberhaupt nicht vor, und ich verstehe im Grunde doch nicht, wie ihnen (den Kindern) durch ihre (der extremen Gestalten) Einfuehrung eigentlich geholfen ist.
Die Art, in der sich diese Maerchen ihrer Boesewichte entledigen, laesst einen naiv zivilisiert empfindenen Erwachsenen ratlos und irritiert zurueck, und erst das Studium der Klassiker hilft uns dann mal wieder, uns dieser banalen und undialektischen Ahnungslosigkeit zu entschlagen. Auch bei Manfi schien es mir, als sei er nicht so schnell dabei, sich mit den drei Boecken gegen den haesslichen Troll zu verbuenden, sondern eher schockiert und besorgt darueber, dass am Ende der Troll in den Bach gestossen wird (zum Glueck kuckt er dann noch ganz munter aus dem Wasser). Das ist ja nun in seinem bisher gesammelten Erfahrungsschatz nicht enthalten, dass es als erfreulicher und begruessenswerter Ausgang einer Geschichte gilt, wenn jemand ertrinkt, mit Wackersteinen gefuellt oder im Ofen gebraten wird. Natuerlich koennen Kinder sich daran gewoehnen, dass die Dinge in Maerchen eben diesen Gang nehmen, waehrend man selbst erstaunlicherweise bereits scharf zurechtgewiesen wird, wenn man mal jemand anderen bloss ein klein bisschen beisst. Kinder koennen sich ja an einfach alles gewoehnen, und vielleicht ist es schon schoen, dass mit der Gewoehnung an Maerchen noch eine neue Facette der Welt bzw. der Kultur mit eigenen Regeln in ihr Leben tritt. Aber wenn das alles sein sollte, waere es doch ein bisschen sonderbar.

1. Entweder, der Troll symbolisiert die animalischen Triebe, die Bruecke den Weg zu den und der gruene Huegel die fruchtbaren Freuden der Zivilisation. Die drei Boecke koennten vielleicht irgendwie das Ich, das Es und das Ueberich sein, obwohl das ja nun wirklich nicht viel Sinn ergibt, und die Geschichte waere dann nach Bettelheim eben psychologisch zu verstehen. Es ist keine Kunst zu erklaeren, das erschloesse sich ja Kleinkindern doch nie im Leben. Natuerlich erschliesst sich ihnen das nicht, aber die Kunst ist eben, daran irgendwie vorbeizuargumentieren. Dass die animalischen Triebe weg muessen, und zwar gnadenlos, das ist jedenfalls sonnenklar.

Trotzdem ist es natuerlich eine Sache, einzusehen, dass Haensel und Gretel unverzichtbar sind, um dem Kind beim Nachsinnen ueber die Verderblichkeit uebermaessiger oraler Gier und die Notwendigkeit des Masshaltens beizustehen, und auch, dass jedes Element des Maerchens in dieser Interpretation einen absolut schluessigen Sinn erhaelt. Eine komplett andere Sache ist es dagegen, seinem Kind dann tatsaechlich von den Kindern zu erzaehlen, die da in den Kaefig gesperrt und gebraten werden sollen, und ihm die Verbrennung der Hexe durch die beherzten Geschwister als von ganzem Herzen zu bejubelnde Loesung dieses, sozusagen, Konfliktes zu praesentieren. Neinnein, also das ist wirklich noch einmal eine ganz andere Sache, wie ich jetzt merke. Eine ganz andere Sache. Und wenn ich noch so ueberzeugt sein sollte, dass die inneren Konflikte, die mein Kind mit sich austraegt, tatsaechlich so gewaltsam sind, dass sie die gewaltsame Bilderwelt der Maerchen rechtfertigen, kann ich doch nicht umhin zu bemerken, dass sich meinem Sohn damit offenbar zumindest kein unmittelbares Beduerfnis zu erfuellen scheint.
Natuerlich ist er noch ein bisschen zu klein fuer Haensel und Gretel, und die spielen bei uns auch nur deswegen so eine Rolle, weil kleiner knucklehead monatelang von dem Haensel und Gretel-Lied besessen war. (Jetzt ist es 'Drei Chinesen mitm Kontrabass', mit dem er mir mein ganzes tolles 'Pentatonische Kinderlieder in Quintenstimmung sind super fuer die Kinderseele'-Konzept kaputt macht...) Andererseits ist die schueschologische Botschaft des Maerchens, wenn man sie denn wahrnehmen will, offensichtlich schon fuer dreijaehrige sehr passend. Ein Fuenfjaehriger hat es dann doch hoffentlich schon mit sich selbst ausgemacht, dass seine Mutter ihn nicht geradezu umbringen will, wenn sie ihm mal an der Kasse keinen Duploriegel kauft. Fuer den sollte das Maerchen dann eigentlich langweilig sein. Das bringt mich auch darauf, wie schwer die Unterscheidung fallen kann zwischen 'Kind langweilt sich bei 'Das Haeschen Schnuppernaeschen und der boese Bock', weil es voellig ueberfordert ist' und 'Kind langweilt sich, weil ihm das Angebotene nichts mehr geben kann'. (Oder natuerlich drittens, Kind langweilt sich, weil es von der Kulturindustrie verdorben ist...)

2. Oder, es wird ja haeufig, oder eigentlich immer, gesagt, kleine Kinder seien in ihrem keimenden Moralempfinden absolut kategorisch, fuer sie gebe es eben nur wundermilde einerseits und abgeschmackt boese Gestalten andererseits. Und deswegen braeuchten sie irgendwie diese Maerchen. Man koennte natuerlich andererseits einfach erklaeren, das sei im Gegenteil eine Folge der Wolf- und Trollgeschichten, mit denen man sie traktiert hat.
Aber es scheint schon irgendwie plausibel, dass nicht nur das aesthetische Empfinden sich an staerkeren Reizen in die Existenz arbeitet (Glitzer glitzer), sondern dass das eben auch beim Moralempfinden so sein koennte. Insofern waeren dann die Woelfe und boesen Trolle geradezu so etwas wie Geburtshelfer des moralischen Empfindens. Dass dem Kleinkind also angesichts der Taten dieser Boesewichter (und insbesondere ihrer enorm heftigen Bestrafung) ueberhaupt erst daemmern kann, es gebe so etwas wie das Unrechte. So wie ihm angesichts eines Paares rosafarbener Hausschuhe mit Paillettenschmetterlingen die Existenz des Schoenen aufgeht. Waehrend man dann spaeter Kiepen aus Weidenruten schoen findet und sich fuer mildernde Umstaende und Resozialisierung, oder die Schuld, die man auf sich laedt, wenn man ein iPhone besitzt oder so etwas begeistert.
Andererseits wird wohl niemand behaupten, Kinder koennten in einer Welt ohne rosa Hausschuhe kein aesthetisches Empfinden erwerben. Mir scheint sogar, es gibt eine ganze Menge Leute, die geradezu das Gegenteil behaupten, naemlich dass Kinder in einer solchen Welt schlankweg ein tiptop vielbesseres aesthetisches Empfinden kriegen wuerden. Und wenn man die Analogie also gelten lassen will, muesste man auch davon ausgehen koennen, dass Kinder auch ohne den Wolf und die sieben Geisslein irgendwie in der Lage sein muessten, moralisch zu werden.

3. Natuerlich ist die Welt ohnehin nicht dieser Ort des immerwaehrenden Maulbeerbaumtanzens, unterbrochen von Pausen, in denen treusorgende Muetter Apfelschnitze aus Tupperdosen verteilen. Vielleicht koennen diese Maerchen als eine Art Vorbereitung auf das spaetere Spiegel Online Panorama-Lesen dienen.

4. Letztendlich, das einzig knallharte Argument ist, dass es offenbar schon immer und seit Ewigkeiten so gemacht wurde. Wenn man sich ueberlegt, was fuer einen Schatz man an den Maerchen hat, einen Einblick in die Tiefen der seelischen Vergangenheit der Menschheit, daran koennte man sich schon begeistern. Da koennte man schon meinen, das sollte man seinem Kind nicht vorenthalten, auch wenn es dadurch vielleicht irrationale Ansichten ueber Woelfe bekommt, die ja, wie jeder weiss, in Wahrheit garnicht boese sind. (Diesen Kritikpunkt brachte neulich ein Elter.) Aber so wie irgendeine angepriesene archaeologische Ausgrabung, die man sich im Museum anschaut, und ueber die das Kind angesichts der Plastikglitzersteine, mit denen es jeden Tag umgeht, vage enttaeuscht ist, mutet eben auch der Maerchenschatz heute unscheinbar an. Und da ergibt sich auch wieder die Frage: Halte ich mein Kind jetzt von Petterson und Findus fern, um ihm das Aestimieren der Maerchen zu ermoeglichen? Eigentlich waere das ja komplett naheliegend, andererseits ist es klar, dass das schon wieder viel zu ideologisch ist. Offenbar ist es immer noch besser, dass die Kinder stumpf und dumm werden durch die Kulturindustrie (ich hab mit 14 Tucholsky-Briefe gelesen, meine Tochter liest die Vampire Diaries...), als dass man sie zu ihrem Gluecke zwingt.

Weisst du was, sprach der Esel, ich gehe nach Bremen und werde Stadtmusikant, geh mit und lass dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute und du schlaegst die Pauken.

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Koennte ich natuerlich auch selber tun, aber gerade eben habe ich diesen irrsinnigen Armkrampf...

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