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Oh, heute musste ich zu dieser Vernissage gehen. Aber da Vernissagen ja das sind, was das Leben in den mittleren Jahren lebenswert macht, kann man sich nicht beschweren.

Dieser Arbeitskollege von mir ist dieser Hobbyphotograph mit Anspruch auf, tja, wahrscheinlich, Art,und von seinen Bildern von Sonnenuntergaengen, Felsbrocken im Wasser, Blaettern in Oelpfuetzen,Loewenzahnen durch sternfoermige Verzierungen auf eisernen Gullideckeln kontrastiert und Feuertreppen mit interessanten Schattenwuerfen habe ich mittlerweile schon weit mehr gesehen als ich urspruenglich geplant hatte. Die bringt er naemlich immer in Mappen mit zur Arbeit und sagt 'He, wanna see my pictures?' Tja, wer wollte da Nein sagen. Oder man soll ihm raten, was er zu diesem Photowettbewerb in der Kategorie Interieurs einschicken soll, lieber die geschwungene Treppe, die auf so interessante geometrische Weise mit den verschiedenen eckigen Deckenteilen kommuniziert, oder lieber die Vollpanoramaaufnahme von seinem Badezimmer?
Dadurch, und dadurch, dass er immer auf den allen Weihnachtsfeiern seine Kamera mithat um den Truebsinn gekonnt ins Bild zu setzen, hat er sich etabliert als der artsige Photoguy, und das finden die Menschen natuerlich gut, wenn sie sich sagen koennen, ja, das ist dieser artsige Photoguy, und man glaubt ja auch nicht, wie gerne und heftig sie sich darueber unterhalten koennen, welche Digitalkamera und blabla und alles nun die beste ist undsoweiter.

Naja, und nun hat er in der Vergangenheit schon immer mal kleine Geschaefte gemacht, indem er diesem und jenem Kollegen fuer hundertfuenfzig Dollar ein artsiges gerahmtes Photo von irgendwas Interessantem, Geometrischen als Geschenk fuer einen lieben Menschen verkauft hat, und jetzt ist er also auf den Trichter mit den Vernissagen gekommen. Er druckt dann kleine Einladungszettel aus und legt sie einem auf den Schreibtisch. Einmal habe ich das ignoriert, aber heute kam er auch noch hereinmarschiert 'So...are any of you guys coming to my thing today?' und alle, 'Gotta talk to the wife', Mein Kind ist krank', erm, und ich hatte sowieso schon halb geplant, in Gottes Namen da hinzugehen, und damit war es dann entschieden.

Aber meine Guete, was fuer eine unschuldsvolle Impertinenz!
Das ist eigentlich sehr bewunderswert. Und, ich meine, nicht, dass das jemand missversteht, er ist perfekt nett und grossartig, und seine Photos sind sicher auch ganz ordentlich und alles, selbst wenn ich diese Faszination mit interessanten geometrischen Geschichten und Gartenharken nicht so ganz vollkommen teile, und er erwartet auch ueberhaupt nicht, dass ich jetzt etwa eins von denen kaufe. Ich soll nur seine Vernissage fuellen oder irgendwas.
Aber viel haerter ist ja, dass er erwartet, man muesste sich absolut fuer sein Treiben interessieren. Dass er, wenn jemand sagt, erm, mein Kind ist krank, wirklich annimmt, das Kind sei krank und das naechste Mal ungebrochen wieder eine Vernissage-Einladung auf den Schreibtisch flattern laesst. Das ist eigentlich auch sehr grossartig, weil von Natur aus, also sagen wir als Dreijaehriger, ist man ja wirklich mehr als geneigt, dieses Interesse vorauszusetzen, selbst wenn, oder gerade weil, man es fuer die anderen in keiner Weise aufbringt - koennen ja nicht alle wichtig sein. Aber dann kommen doch spaeter all diese Jahre, die einem auf die eine oder andere Weise immer wieder unter die Nase reiben, dass einen mit der uebrigen Welt eigentlich doch in erster Linie feine und weitverzweigte Faeden von gegenseitigem Schnuppesein verbinden. Wie kann man denn diese Information ignorieren? Oder lief das bloss bei mir darauf hinaus? Oder bloss in Old Europe? Oder ist Peter bei Scientology?

Wir wissen es nicht. Wir wissen es leider nicht. Aber dafuer haben wir einige neue Photos von Gartenharken, Feuertreppen und Basketballnetzen mit dramatischen Schattenwuerfen gesehen. Diesmal alles in Sepia.

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