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Ein fliegendes Pferd
2007-10-23 @ 11:05 p.m.

Benjamin hat mir, da lies, Frau, das Buch hingeworfen und ich habe es gelesen. Ein fliehendes Pferd ist garnicht so schlecht, nachgerade richtig gut.

Ich finde zwar ueberhaupt nicht, dass es nach Verfilmung ruft. Mit all dem, was der Protagonist meint und findet, was aber niemals und geradezu prinzipiell nicht in irgendeiner Weise aeusserlich zum Ausdruck kommt, und wie er sein Leben und seine Beziehungen eingerichtet hat, komplett sozusagen als komplizierte Verweigerungsbalance gegenueber den von der Lebensindustrie ihm angedienten Vorbildern und Idealen, ist der Stoff eigentlich prototypisch unverfilmbar. Aber immerhin auch gut und man kann begreifen, wie jemand das Buch irgendwie ehren wollen koennte durch eine wie auch immer missglueckte Verfilmung. Im Gegensatz zum Beispiel zu dem sinnlosen Parfuem-Erlebnisroman, von dem ich nicht begreife, wie man den Verfilmungswunsch ueber die siebzehntausend Jahre, die vergangen sind, seit das Ding auf den Bestsellerlisten war, konservieren oder gar entwickeln konnte.

Trotzdem ist die Verfilmung aber ein furchtbares Zugunglueck. Alles, alles, was in dem Buch interessant und ueberraschend, lebendig und intelligent ist, wird ersetzt durch eine platte, in den allergewoehnlichsten Fahrrinnen dahindampfende Kinogeschichte. Da seht den mittelalten freudlosen Lehrer, dessen Interesse am Leben und an seiner Frau auf typisch-mittelalte Weise verbittert und erlahmt ist - ich meine, mein Gott, was soll auch mit solchen mittelalten Lehrern, die seit Jahren nicht in Lissabon waren und seit Ewigkeiten verheiratet sind, denn schon sonst gross passieren - warum hat dieser Regisseur nicht 'Nachtzug nach Lissabon' verfilmt, das ist doch sein Stoff? - der sich nicht ins Wasser des Bodensees traut, sondern lieber draussen sitzt und ein typisches philosophisches Angeberbuch liest (ich habe leider vergessen, was es war (Von allem Unnoetigen?), aber es war eins von diesen, wo jeder Depp gleich sagen kann: ah ja, Philosophie, tief, hab ich auch schon mal von gehoert (ich glaube, Die Welt als Wille und Vorstellung). Im Buch liest er Kierkegaards Tagebuecher, in freudiger Antizipation eines voelligen Mangels aufregender individueller Bekenntnisse, bzw. er nimmt es sich vor, wird aber zu seinem Aerger immerfort davon abgehalten. - Diese Ersetzung muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen). Am Ende stuerzt er sich in die Fluten und schwimmt und schwimmt und schwimmt, und wir wissen alle, was das heissen soll. Das soll heissen, er hat seine Angst vor den Unwaegbarkeiten intensiver Gefuehle endlich ueberwunden und die Arena des Lebens wieder betreten. Oder auch, abgesehen davon, was fuer eine furchtbar muede Metapher das ist: Kein mittelalter Mensch lebt rechtschaffen, wenn er sich nicht wie ein blutiger Teenager auffuehrt.

Ins Leben zurueckgefuehrt haben ihn ein angeberischer Lebensfreude-Affe und seine blutjunge sexy Freundin. Der Lebensfreude-Affe ist zwar albern und unertraeglich, aber im Laufe des Films wird immer klarer, dass er der Typ ist, der die Antwort hat. Sein jesusartiger Opfertod im stuermischen See und die spaetere Auferstehung reduzieren den Bittermann auf die zunaechst vor Verzweiflung, dann vor schmerzendem Glueck weinende, jaulende und sich windende Kreatur und absolvieren ihn von all seiner Bitterkeit und Pein. Sprengen sozusagen den Panzer. Kommt zu mir, die ihr muehselig und beladen seid. Danach ist er dann geheilt.

Alles, was im Buch innen ist, muss in der Verfilmung aussen sein, im Buch laesst Bittermann sich sein Genervtsein von Lebensfreudemann in keiner Weise anmerken, im Film rollt er noch und noch die Augen und schmeisst ihn eklatartig aus seinem Ferienhaus. Im Buch findet er die blutjunge Freundin aus den Augenwinkeln sexy, im Film baggert er sie an und sie holt ihm einen runter. Im Buch findet seine Frau den Lebensfreudemann attraktiv, im Film haben sie Sex beim Joggen. Im Buch bleibt an jeder Stelle die Form zwischen den beiden Paaren gewahrt, im Film zieht das Lebensfreudepaar am Morgen nach dem Eklat ins Nebenhaus und klopft von da an zu allen Zeiten mit aufdringlicher Munterkeit an die Balkontuer des Bitterpaares. Sehr witzig. Das ist natuerlich ganz verstaendlich weil im Sinne des Mediums, aber trotzdem schlimm.
Alles, was sich nicht auf den Gegensatz Lebensfreudepaar/Bitterpaar hinbiegen laesst, wird geaendert oder weggelassen: im Buch ist von Anfang an deutlich, dass auch das Bitterpaar durchaus gemeinsam schwimmen geht, sie haben einen Spaniel namens Otto, sie trinken gern Wein, er raucht, das Lebensfreudepaar trinkt nur Mineralwasser und raucht nicht, das Bitterpaar wandert moderat, das Lebensfreudepaar fanatisch. Auch das Lebensfreudepaar ist seit etlichen Jahren verheiratet und kommt seit drei Jahren ins gleiche Hotel (Im Film sind sie ein halbes Jahr zusammen und halten das fuer ewig lange). Lebensfreudemann hat extreme Angst vor Hunden und wird von auffaelligem Zorn und Abscheu ueberwaeltigt, wenn seine Freundin Klavier spielt (Die Wandererphantasie von Schubert - Im Film singt sie schwedische Volkslieder von ihrer Grossmutter und Lebensfreudemann ficht das nicht weiter an). Lebensfreudemann fragt seine Freundin pausenlos, ob sie ihn noch moege, haelt sie gleichzeitig nieder und hindert sie daran, ihren eigenen Interessen nachzugehen.
Der Film unternimmt alles, um Bitter- und Lebensfreudepaar weiter auseinanderzupolarisieren, damit wir es auch alle, alle verstehen und die Geschichte kinomaessig Sinn macht, das heisst, das abliefert, was jeder Depp von Anfang an erwarten kann. Am schlimmsten ist, wie die Beziehung des Bitterpaares, die im Buch einander so ruehrend nahe sind, wie sich zwei unbesoffene mittelalte Menschen eben sein koennen, auf stumpfe Gleichgueltigkeit und Desinteresse hingebogen wird. Damit hat sich der Regisseur meinen ganz speziellen Zorn verdient.

Was das Lebensfreudepaar eigentlich zu dem Bitterpaar hinzieht, wird dann natuerlich ganz unklar, sie sind mehr oder weniger einfach nur diese beiden Heiligen, die gesandt sind, das Bitterpaar zu retten. Als das geschehen ist, verschwinden sie. Das Bitterpaar ist verzweifelt: Lebensfreudepaar, wo seid ihr, helft uns empfinden! Aber die letzte Botschaft des Lebensfreudepaares ist: Nun seid ihr auf euch gestellt, wir haben euch den Weg gezeigt und eure Panzer zerbrochen, nun lauft und springt und schwimmt und seid froh. Und das tun sie dann auch. Amen.

Im Buch geht es um zwei Leute. Einer ist so naiv, all die Spontaneitaet, Intensitaet, Erotik und alles, was mittlerweile gerade noch fuer die muede Werbekampagne irgendeines Strom- oder Unterwaescheanbieters taugt, tatsaechlich fuer interessante Ideen zu halten und in seinem Leben durchzuexerzieren. Der andere verweigert sich dem bilderbuchmaessig erfuellten Leben, weil zuviele Bilderbuecher es propagieren und damit seine Existenz verunmoeglichen, wie es ueberhaupt ein ewiges Katz- und Mausspiel zwischen den Bilderbuch-Darstellungen der verschiedenen Lebensmoeglichkeiten und ihrer darauffolgenden Abnutzung und Verunmoeglichung gibt. Wodurch er sich in die Ecke, in den Zustand von fast Bewegungslosigkeit und voelliger Kleinbuergerlichkeit gedraengt sieht, weil bloss dieser Zustand an moeglichst keiner Stelle durch den Lebensindustrieschrott beruehrt wird. Und darum, welcher von beiden hoffnungsloser kaputtgeht.

Da wird dieser Mann beschrieben, der immer, wenn er daran denkt, sich seiner Frau zu naehern, von der Erinnerung an irgendeinen Sex-Report ueberwaeltigt wird und die zarte und private Beziehung durch den Gedanken an schamlose Veroeffentlichungen darueber bedroht sieht, wie oft der Durchschnittstrottel sich auf seine Alte waelzt (solch ein fein empfindender Mann ist mir persoenlich, allerdings, noch nie begegnet). Der meint, sein Ideal sei, einfach nur beruehrungslos neben seiner Frau zu liegen, weil alles andere schon dadurch, dass die Erwartung solchen Verhaltens von allen Seiten an ihn herangetragen wird, irgendwie beschmutzt sei, und der sich nur darum sorgt, ob sie auch schon 'so weit' sei oder noch, bewusstseinsmaessig, sozusagen, hinterher. Der aber mit seiner Frau so vollkommen einverstanden ist, dass er sie 'Sabine, du einziger Mensch' nennt.

'Er sei, sagte er, also doch schon weiter als sie, da er schon lang keinen Menschen mehr verstehe ausser ihr.'
Der Lebensfreudemann ist ein Borderliner und Kontrollfreak, ueber den sich seine Frau bitter beklagt, als ihn alle fuer tot halten (im Buch betrinkt sie sich mit Calvados, was ihr unter Lebensfreudemannes Regime nicht gestattet war, im Film veranstaltet sie ein reizend-naives Symbolbegraebnis mit 'Weizenkleie und ein paar Haaren aus seiner Buerste' und alle weinen sich den Kopf ab).

Im Grunde genommen wird im Buch das Lebensfreudepaar durch das Bitterpaar zerstoert. Der Bittermann war Lebensfreudemanns letzte verzweifelte Hoffnung auf ein bisschen Substanz in seinem Leben, diese Hoffnung hat Bittermann durch seinen Anschlag auf Lebensfreudemanns Leben in Grund und Boden gemalmt. Das Bitterpaar faehrt im Zug davon, unangreifbar in seiner intellektuellen Intimitaet und robusten Unbegeistertheit. Das Lebensfreudepaar war am Ende gerade gut genug, sie zu einem neuen Urlaubsziel zu inspirieren. Auf nach Montpellier!

Vielleicht haette Martin Walser auch schrecklich gern Lebensfreude-Jesus vollstaendig triumphieren lassen, der Film hat ihm ja wohl gefallen, aber er meinte vielleicht, die lustfeindliche Zeit und der studienraetische Literaturbetrieb seien noch nicht ganz reif dafuer. Heute sind sie das allemal. Manchmal ist es wirklich unglaublich, wieviel schlauer die Leute frueher offenbar waren.

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Koennte ich natuerlich auch selber tun, aber gerade eben habe ich diesen irrsinnigen Armkrampf...

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