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Aus meinem Leben, 1988
2004-09-23 @ 10:20 a.m.

Neulich morgens wollte Benjamin uns unbedingt zehn Minuten bevor die Teppichshamponierer kommen sollten (wir haben zwangsweise Teppichboden in unseren kleinen Schlafzimmerschachteln, es wird viel gekotzt und verschuettet, es ist schlimm, natuerlich kamen sie in Wahrheit nach anderthalb Stunden, ohne dass ich das jetzt sofort zum Gegenstand einer volkstuemlichen Glosse machen will - ich sammle noch Material!) im Bett Kleist vorlesen, damit wir uns bilden. Vor allem auch die Kinder, diese aufmerksamkeitsgestoerten Konsumisten.
Herzog Wilhelm von Breysach, der, seit seiner heimlichen Verlobung mit einer Graefin namens Katharina von Heersbruck aus dem Hause Alt-Hueningen, die unter seinem Range zu sein schien, mit seinem Halbbruder, dem Grafen Jacob dem Rotbart, in Feindschaft lebte, kam gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts, da die Nacht des heiligen Remigius zu daemmern begann, von einer in Worms abgehaltenen Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser zurueck, worin er sich von diesem Herrn undsoweiter undsoweiter, und war dann ganz aufgebracht darueber, dass sich niemand richtig konzentrieren konnte in diesem speziellen Moment.

Mich hat das daran erinnert, wie ich in meiner Schule einmal an die Kristallnacht erinnern wollte, obwohl der Zusammenhang natuerlich nur ganz lose ist. Diese Geschichte vertieft den Eindruck, ich sei in jungen Jahren auf jeden Fall irgendwie sehr sehr merkwuerdig, eventuell sogar geradezu dumm oder wahnsinnig gewesen.
(Benjamin hingegen war schon immer klug und grossartig.)

Ich war in der elften Klasse, es ging auf den neunten November zu. In folgenden Jahr sollte sich an diesem Datum etwas ganz anderes ereignen - von Menschenmassen frohlockend gefeiert wird die Mauer metaphorisch fallen, wovon im Moment natuerlich fuer das ungeschulte Auge noch nicht viel zu bemerken war.
Ich hatte mich verpflichtet, irgendeine Art von Exhibition zu veranstalten, um an die Kristallnacht zu erinnern. Zu diesem Zweck war ich zuvor in der Pankower Chronik gewesen, die sich in der Heynstrasse in der grossen, teilweise original eingerichteten ehemaligen Wohnung der Fabrikantenfamilie Heyn befand (heute Panke-Museum). Dieser Ort wurde gern als Kulisse fuer kulturelle Veranstaltungen verwendet, denn er besass Blumenfollerien und Marmelstein - ich war dort einmal auf einem Konzert meiner Musikschule gewesen, wo ich, soweit ich mich erinnere, bezopft den Froehlichen Landmann zum Besten gab.
Pankow, Heimat der Gebrueder Skladanovski, des Erfinders der Thermosflasche und des Grafikers Manfred Butzmann. Was war aus Familie Heyn geworden? Mussten sie jetzt Modelleisenbahnen lackieren? Waren sie Juden und als solche vertrieben worden? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass sich in ihrer Wohnung nun ein feiner alter Mann befand, hager mit grossen Ohren, der mich in den Archiven forschen liess, in welcher Form genau will leider die Erinnerung nicht preisgeben, mir ist aber, als haette es vielleicht Karteikarten gegeben ueber die verschiedenen Haeuser in den verschiedenen Strassen, auf denen stand, was sich zu gewissen Zeiten darin befunden und ereignet hatte, sofern sich jemand die Muehe gemacht hatte, darueber zu berichten.
Ich brachte das eine oder andere nicht allzu Detaillierte in Erfahrung ueber Geschaefte juedischer Besitzer, die es einst in Pankow gegeben hatte. Mit diesen Informationen fuellte ich eine groessere Wandzeitung, die ich am neunten November im Foyer unserer Schule an so einem weissen Aufstellding anbrachte. Weiterhin hatte ich eine Mundharmonika mitgebracht, um damit fuer die rechte Gedenkstimmung zu sorgen.
Als in der Pause alles hinunterstroemte und begann, sich in der ueblichen Weise die Zeit zu vertreiben, liess ich mich auf dem Steinfussboden unter meiner Wandzeitung nieder und erzeugte mit der Mundharmonika eine Art Spiel mir das Lied vom Tod-Musik.
Ich weiss nicht, was genau eigentlich mein Plan war, aber das einzig Naheliegende hatte ich mir offenbar nicht denken wollen, dass naemlich das pausenhafte Leben und Weben voellig unbeeindruckt um mich herumweben wuerde, und sich lediglich meine Freundin Gritt peinlich beruehrt, aber loyal in meiner Naehe aufhielte. Genau so kam es aber, und ich war fuer eine Weile sehr verbittert ueber diesen skandaloesen Unwillen zum Gedenken.

Wenig spaeter bin ich dann noch einmal in der Pankower Chronik gewesen, um den alten Mann mit den grossen Ohren zu fragen, ob er wohl daran interessiert waere, seiner Chronik etwas Material ueber eine unerfreuliche politisch motivierte Rausschmissaktion, die es inzwischen an meiner Schule gegeben hatte, hinzuzufuegen, aber die verzettelten Anfaenge, die ich damals in Richtung auf einen solchen Bericht unternahm, liegen immer noch bei meinen Eltern in irgendeiner Kiste herum. Heute muessen und duerfen die neuen Schueler meiner alten Schule diese Geschichte erforschen, es gab etliche Fernsehsendungen und Zeitungsreportagen darueber, die juengste und schmierigste Idee war wohl, einen der relegierten Renegaten, der mittlerweile gern Politiker werden wollte, auf ein Bier zusammenzustellen mit dem Sohn von Egon Krenz, der damals auch in unsere Schule ging und sich nun als Produzent (oder irgendsowas in der Art) des Disney-Musicals 'Der Gloeckner von Notre Dame' am Potsdamer Platz betaetigte. Damit sie sich einigen konnten, dass sie heute mehr verbindet als trennt oder so. 'Frueher trennten sie Welten', 1996 im Jetzt-Magazin der Sueddeutschen. Beide brauchten die Publizitaet offenbar dringend.
Gut so, denn nun ist die Nachwelt nicht mehr auf meine abgenutzten Kraefte angewiesen, was die Gedenkarbeit angeht.

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Koennte ich natuerlich auch selber tun, aber gerade eben habe ich diesen irrsinnigen Armkrampf...

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