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(Die Herzogin von Guermantes)
Hatte sich Frau von Villeparisis in ihrer blasierten Jugend nichts daraus gemacht, zur Bluete der Aristokratie zu gehoeren, hatte sie ihren Spass daran gehabt, bei den Leuten, unter denen sie lebte, Aergernis zu erregen und sich keck im gegebenen Moment ueber ihre gesellschaftliche Stellung hinwegzusetzen - jetzt nachdem sie diese Stellung verloren hatte, fing sie an, ihr Wert beizumessen. Als sie alles sagte und tat, was Herzoginnen nicht zu sagen und zu tun wagen, hatte sie ihnen zeigen wollen, dass sie mehr sei als sie. Jetzt, da diese, soweit sie nicht zu ihrer Verwandtschaft gehoerten, sie nicht mehr besuchten, fuehlte sie sich herabgesetzt und wuenschte noch zu herrschen, aber anders als durch Geist. Gern haette sie jetzt alle herangezogen, die sie so sorgsam ferngehalten hatte. Wie viele Frauenleben - man kennt sie wenig: jedermann hat seinem Alter entsprechend eine andere Welt, und die Verschwiegenheit der Alten hindert die Jungen, sich eine Vorstellung von der Vergangenheit zu machen und den ganzen Kreislauf zu umfassen - wieviele Frauenleben zerfallen dergestalt in gegensaetzliche Abschnitte, der letzte wird ganz darauf verwandt wiederzuerobern, was man im zweiten lustig in den Wind geschlagen hat. Und auf welche Art in den Wind geschlagen? Das koennen sich die jungen Leute eben nicht vorstellen: sie haben eine alte, ehrwuerdige Frau von Villeparisis vor Augen, und kommen nicht darauf, dass die ernste Memoirenschreiberin von heute - so wuerdig unter ihrer weissen Peruecke - ehedem eine lustige Lebedame war, vielleicht das Entzuecken und der Ruin von Maennern, die laengst im Grabe liegen. Dass sie sich mit natuerlichem, bestaendigem Eifer bemueht hatte, die Stellung, welche ihre hohe Geburt ihr verschaffte, preiszugeben, besagt uebrigens durchaus nicht, sie habe in jener weit zurueckliegenden Zeit dieser Stellung keinen hohen Wert beigemessen. So kann ein Neurastheniker an seiner Vereinsamung und Untaetigkeit vom Morgen bis zum Abend arbeiten, ohne dass sie ihm deshalb ertraeglich erscheinen, und waehrend er sich beeilt, eine neue Masche in das Netz zu stricken, das ihn gefangen haelt, traeumt er vielleicht nichts als Baelle, Jagden und Reisen. Wir sind bestaendig beschaeftigt, unserem Leben Form zu geben, bilden dabei aber wider Willen wie eine Zeichnung die Zuege der Person nach, die wir sind, und nicht der, die zu sein uns angenehm waere. Der veraechtliche Gruss von Frau Leroi konnte in bestimmter Weise die wahre Natur der Frau von Villeparisis zum Ausdruck bringen, entsprach aber durchaus nicht dem, was sie sich wuenschte. ... Nebenbei bemerkt, koennen nur die Salons einer Frau von Villeparisis auf die Nachwelt uebergehn, denn eine Frau Leroi kann keine Lebenserinnerungen schreiben, und koennte sie es auch, so haette sie keine Zeit dazu. Und erregt die literarische Veranlagung einer Frau von Villeparisis bei einer Frau Leroi Verachtung, so dient ihrerseits die Verachtung einer Frau Leroi in eigentuemlicher Weise der literarischen Veranlagung einer Frau von Villeparisis, sie gibt den blaustruempfigen Damen die Musse, die eine literarische Laufbahn erfordert. Gott will, dass es ein paar gutgeschriebene Buecher gebe, deshalb haucht er den jeweiligen Frauen Leroi diese Verachtung ein; er weiss, wenn sie die entsprechende Frau von Villeparisis zum Essen einladen wuerden, so liesse diese gleich ihr Tintenfass stehen und fuer acht Uhr anspannen.
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