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Treuherziger Ernst
2010-05-06 @ 2:39 p.m.

Aus gegebenem Anlass Alice Miller revisitiert.

Gefuehle validieren.
Nehmen wir mal ein Kleinkind, das hingefallen ist. Das Kind empfindet natuerlich ein Unbehagen, wenn es sich etwas wehgetan hat und weint vermutlich. Aber gleichzeitig schaut es auf seine Umgebung, um fuer sich abzuleiten, ob das jetzt ein gravierendes Problem ist oder nicht. Wenn man ihm mit der 'Oh du armes Wurm, lass dich retten'-Haltung entgegenstuerzt, wird es folgern, dass offenbar in seiner Kultur eine leichte oder schwerere koerperliche Versehrung ein Grund ist, sich irrsinnig aufzuregen, sein Unbehagen wird verstaerkt und es wird sich daran gewoehnen, nach einem Fall Gefuehle von Schmerz, Zorn und Leid zu entwickeln, es wird heulend liegenbleiben und auf Rettung und Trost warten.
Naehert man sich ihm in freundlich-abwartender Haltung und sagt: 'Oh, du bist hingefallen. Das macht nichts, steh mal wieder auf.' und gibt ihm nach dem Aufstehen vielleicht noch einen kleinen Kuss, wird es daraus ableiten, dass wir mit ihm sympatisieren, so ein Fall aber keine grosse Tragoedie ist. Nach einer Zeit wird das ein Kind sein, das sich nach kleineren Stuerzen kommentarlos wieder aufrappelt und weiter seinen Geschaeften nacheilt.

Wenn man jetzt davon ausgeht, dass ein Kind von sich aus Gefuehle von Schmerz und Trauer empfindet, wenn es hingefallen ist, dann muss man die natuerlich validieren. Was dann aber resultiert, ist vielleicht ein Kind, das man als heulsusig, abhaengig und irgendwie ungluecklich bezeichnen koennte.
Was aber, wenn diese Gefuehle erlernt sind? Dann hat man doch vielleicht die Verantwortung, dem Kind Gefuehle beizubringen, die es in seinem weiteren Leben moeglichst wenig behindern? Uh, das hoert sich schwarzpaedagogisch an. Nichtsdestoweniger - siehe die lieben Jean Liedloff-Indianer. Die machen das ganz genauso.

Vielleicht sind Gefuehle, abgesehen von einem elementaren Unbehagen oder Behagen, doch eher erlernt und kulturell. Nur so kann man ja irgendwelche Staemme haben, bei denen es fuer die kleinen Jungen eine grosse Ehre und keine Traumatisierung ist, den Stammesaeltesten am Puller zu ziehen, oder liebe Indianer, die sich stoisch gegenueber Schmerz verhalten und froehlich schwere Lasten schleppen, anstatt zu stoehnen und zu fluchen, oder fremde Voelker, die oeffentlich defaekieren, ohne dass das fuer sie im Mindesten beschaemend waere.

Und dann muss man sagen, eine Kultur, in der es gang und gaebe ist, kleine Kinder zu verkloppen und ihnen dann zu sagen, das sei keine Tragoedie und sie haetten keinen Grund, sich darueber zu bekuemmern, ist dann vielleicht auch nur eine Kultur, in der gewisse Gefuehle gelernt werden und andere nicht. Sonst muesste man ja auch sagen, die Kinder, denen man gesagt hat, es sei nicht schlimm, wenn sie mal hinfallen, haetten es lediglich gelernt, den Schmerz zu verdraengen, der jetzt aber zerstoererisch in ihrem Innern weitertobt und ihren Lebensbaum wuergt.
Dann koennte man gewissermassen sagen, man kann eigentlich bloss validieren, was man, oder die Kultur, vorher reingesteckt hat in die Kinder. Wie?
Man kann hoechstens fragen, ob das eine so menschenwuerdige Kultur ist, die ihre kleinen Kinder pruegelt oder sonstwie verhaermt.

Ich verkloppe natuerlich meine Kinder nicht, ich haue sie ueberhaupt in keiner Weise, denn sie sind klein und ich haue ueberhaupt niemanden ausser Taube Teo. Die kriegt es dafuer aber ordentlich!! Und generell ist Alice Miller natuerlich lieb lieb lieb. Aber auf dieses ganze treuherzige Siebzigerjahre-Psychobusiness hat man auch nicht immer so eine Lust.

Einfuehlende Psychologie. Scheinwissenschaft. Dabei ist der Witz, dass ich eigentlich finde, dass es viel sinnvoller und menschengeziehmender ist, seine Faehigkeit zur Einfuehlung spielen zu lassen als etwa angeschraubten Affen die Koepfe aufzubohren oder meditierende Moenche in Magnetresonanztomographen zu schieben. Ich bin eigentlich fest ueberzeugt, dass Einfuehlung eine grossartige Sache und Aufbohren und Tomographieren eigentlich das Schlimmste, Absurdeste und Bloedeste ueberhaupt sind, wenn man etwas ueber den Menschen erfahren will. Und doch und doch. Manchmal ist dieses Einfuehlen doch von unklarem Wert. Und dann kommt es ja auch so darauf an, wer es betreibt.

Und nun ist es vor allem auch nicht so, dass aus diesem ganzen 'Oh Kind oh Kind ich validiere deine Gefuehle'-Geschaeft so wahnsinnig viel Gescheites herausgekommen waere. Ich will ja nicht gerade sagen, dass es heute ueberdurchschnittlich viele Deppen gaebe, die ihr Leben nicht gebacken kriegen. Aber so richtig ueberschaeumend gluecklich / ungebremst lebendig / von ganzem Herzen produktiv sind die Menschen jedenfalls nicht in der Mehrzahl. Und deshalb haben wir heute den 'Warum unsere Kinder Tyrannen werden'-backlash.

Alice Miller meinte, dass es weder Mord noch Kord mehr gaebe, wenn nur alle die Gefuehle ihrer Kinder ordentlich validierten (Jean Liedloff meinte das gleiche bezueglich der complete in-arms experience). Was so natuerlich eine Idee von treuherzig naivem Ernst ist, denn es gibt ja wohl auch noch andere Zwaenge auf der Welt. (Der gruseligste Alb fuer mich ist ja ein Mensch, der aufgrund der perfekten Validierung seiner kindlichen Gefuehle garnicht umhin kann, die ganze Misere aus vollem Herzen zu affirmieren. Ja, Werbefernsehen, ja, Eulenmord! Ihr habt mich willkommen geheissen, ich find euch gut! Aber das liegt vielleicht auch wieder nur daran, dass meine Gefuehle nicht vollstaendig validiert wurden und ich deshalb mit der Welt nicht so einverstanden bin.)
Insofern - aeussere Zwaenge - kann man das Weiterbestehen von Mord und Kord trotz der weitgehenden Durchdringung des kollektiven Bewusstseins mit den Grundzuegen ihrer Theorie und der daraus resultierenden soften Kinderbehandlung nicht unbedingt als Beweis dafuer heranziehen, dass es besser oder zumindest genausogut waere, die Gefuehle seiner Kinder nicht zu validieren. Aber ein ganz schoener Schlag fuer dieses Gedankengebaeude ist es immerhin.

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Koennte ich natuerlich auch selber tun, aber gerade eben habe ich diesen irrsinnigen Armkrampf...

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